Demut im psychologischen Sinn heißt ja wohl kognitiv zu akzeptieren, das nicht alles den eigenen Vorstellungen entsprechen muss. Demut ist also gerade auf Reisen erstrebenswert – jedenfalls wenn man so reist wie wir. Mit unserem Zelt und den grob geplanten Urlaubszielen sind wir flexibel und der Zufall spielt eine gewichtige Rolle. Wir buchen nicht im Voraus und schlagen unser Zelt häufig an Orten auf, die wir so nicht im Voraus gewählt hätten. Das hat seine anstrengenden aber – vor allem – auch seine überraschend guten Seiten. Und bei den nicht so guten Seiten kann man sich dann in Demut üben; im Folgenden ein paar Beispiele für Beides:
Dauer Camper: Campingplatz Pythagoras
95% der Plätze sind von Dauercampern belegt, die sich rund um ihren Wohnwagen ein kleines Reich, ihr kleines Reich errichtet haben. Vor dem Wohnwagen (sofern noch vorhanden und nicht durch eine Art Wochenendhaus ersetzt) eine befestigte, häufig auch geflieste Terrasse, an der Seite ein Küchenzelt, Über allem Planen oder Netze zum Schutz vor herabfallenden Eukalyptusblättern und drum herum ein kleiner Gartenzaun. Auf der Terrasse steht ein Campingtisch für 10 bis 20 Personen. Und natürlich ein großer Flachbildfernseher – er läuft 24/7 aber keiner guckt (außer den einzigen Ausländern auf dem Platz, die wenigstens ein bisschen Olympische Spiele über den Zaun hinweg sehen wollen..) Beleuchtung: Fußballstadion Flutlicht oder leicht kitschige Lichterketten etc..
Tagsüber moderates Treiben, alles ruhig und freundlich. Wie häufig so auch hier hilfsbereite, auskunftsfreudige, grüßende Italiener. Selbst Teenager auf dem Fahrrad schenken mir ein freundliches “ Salve “ bei Blickkontakt, während ich vor dem Zelt sitze und Kaffee trinke. Soweit angenehm und unaufdringlich.
Der nächtliche Lautstärkepegel ist allerdings ähnlich wie auf Ulysses/Paestum – nur ohne Motorräder und Feuerwerk in der Nähe. Erzählen, Lachen usw. bis ca. 3:30 Uhr morgens. Hunde werden auf dem gewohnten Weg Gassi geführt, haarscharf an unserem Zelt vorbei – nur dass da Lana sitzt, die keinen potentiell feindlichen Hund auf ihrem Territorium mag … Samstagabend ist dann richtig was los (Wochenende halt…), halbstündige Stromausfälle der überlasteten E-Installation werden mit einem belustigt-genervten kollektiven Aufstöhnen quittiert.
Die Kleinfamilie: Villaggio Camping La Ginestra Club
Italienische Kleinfamilien oder Paare in den ca 15 Bungalows, von denen alle belegt sind. Man sieht und hört sie nicht – abends nur ca 3 Familien im guten Restaurant mit täglich wechselndem Angebot (u.A. leckerer Schwertfisch). Hier haben wir nicht ein einziges Mal selbst gekocht. Sehr freundliches zurückhaltendes Schwesternpaar managed die ganze Anlage. Die Camping-Area ist nicht genutzt, wir sind die Einzigen – haben auch unsere private Toiletten/Dusch- Kombi, nicht neu aber sauber. Strand ist ebenfalls leer, ab und zu ein Ehepaar am Strand, das dann auch noch seine Freude über die mit uns badende Lana zum Ausruck bringt. Alles sehr angenehm. Und das ionische Meer mit seinem klaren blauen Wasser – ein Traum!
Kurz vor dem eigenen Ferienhaus: Tourist Village Calenella
Wunderbar komfortabel unter schattigen hohen Pinien – auch hier sind wir die einzigen mit Zelt. Wer hier mit (Groß-)Familie Urlaub macht hat es schon zu etwas gebracht: die SUV-Dichte ist hoch unter den Bungalowbewohnern, die anderen Urlauber haben Wohnmobile, einige wenige vom Typ „Rolling Stones Bandtourbus“, die meisten aber mittelgroße, komfortable Dinger mit Motorroller Garage im Heck. Hier bleibt man unter sich, grüßt, wenn es sich nicht vermeiden lässt, höflich. Die Teenager (immer eine ergiebige Quelle für Beobachtungen zum Sozialverhalten) wirken entweder affektiert und extrovertiert oder sportlich und sympathisch zurückhaltend.
Shuttelbus zum Meer, Tennisplätze, Bar, Supermarkt, Obstverkauf und Ähnliches, alles unaufdringlich und eher lässig aber gut in Schuss, das Personal ist freundlich und hilfsbereit. Einziges Manko – schlechter Handyempfang und langsames Internet (für das sich die Dame an der Rezeption entschuldigt …)
Deutsche – Hipster: Camping Lido Salpi Manfredonia
Ich verstehe es nicht wirklich, aber es ist Tatsache: auf diesem Campingplatz sind neben vielen Italienern einige Deutsche (natürlich mit Wohnmobil) anzutreffen, aber eben keine vom Typ Nachbar oder Normalo sondern folgende 3 Kategorien:
1. VW Bus – Camper: schlank, gepflegte Vollbärte, kurze Pferdeschwänze oder gepflegter Stoppelschnitt, eher dezent tätowiert.
2. Normale Wohnmobil – Camper: sportliche Menschen mit Kind, Sie: langes glattes Haar, Er: Kurzhaarschnitt mit lässig abgetragenem, ausgefranstem Strohhut Modell Cuba, Arme + Oberkörper aufwändig tätowiert.
3. Feuerwehrroter Spezial LKW – Camper: ( nicht etwa ausgediente Feuerwehr, sondern: Doppelkabine, 20 Tonner, spezialangefertigter Wohncontainer auf der Ladefläche, vorne ein großes Schild „Namaste“ in der Breite der Kabine; alles super in Schuss…Typ mehrjährige, mehrfache Weltumrundung mit Durchqueren der Danakil Wüste, des indonesischen Dschungels, der sibirischen Taiga mit Abstecher zum Nordpol und mehrmonatigem Aufenthalt in indischen Ashrams)
Sie langes Haar, Kleinkind stilgerecht aufgehängt vor der Brust, langer Thrombosestrumpf, einseitig getragen. Er Rastalocken schulterlang, aber in weiß! Ein bisschen wie Gandalf, der Zauberer aus „Herr der Ringe“.
Der Campingplatz hat 1a neue sanitäre Anlagen (Niveau: Einfamilienhaus in gehobener Ausstattung) hat aber auch ein für uns entscheidendes, gewaltiges Problem: Abends unheimlich viele Mücken, tagsüber unheimlich viele Fliegen. Alle Wohnmobilvorzelte sind mit Gaze eingehüllt und es wird Chemie verbrannt. Zusätzlich wird hier Mückenschutz aufgetragen wie andernorts Sonnenmilch. Typisch adriatischer Sandstand, ungemütliches Restaurant – keine Ahnung warum man sich hier längere Zeit aufhalten sollte.
Aus der Zeit gefallen: Villaggio Camping La Ginestra Club
Schon das Begrüßungskomitee ist einzigartig: an mit blühenden Oleanderbüschen dicht gesäumter Straße stehen hinter dem Directione-Gebäude 3 Stühle am Staßenrand, besetzt mit 3 ItalienerInnen, sie repräsentieren kummuliert vielleicht so irgendwo zwischen 210 und 300 Jahren Lebenszeit. Er sitzt regungslos mit dem strengen Blick längst begonnener Demenz in seinem Stuhl, die beiden Damen, korpulent und freundlich, erwidern unsere Begrüßung lächelnd und winkend. Dieser Platz ist dem legendären Shangri La nicht unähnlich – ein idealer Ort der Ruhe und der Kontemplation, ein Platz, der auch etwas von einem in Vergessenheit geratenem Schloß hat: Wuchernde Vegetation, gerade noch funktionierende Ausstattung, die Camping Area ist seit Jahren verlassen bzw. fast leer: ein Wohnwagen mit sehr netten Italienern und ein Paar aus Jena mit unserem Reisekonzept (BMW und kleines Zelt) für eine Nacht – die kennen sich aus und sind nicht aus Zufall hier. Ein herrlicher, leerer Strand mit mit ein paar bereitgestellten Sonnenschirmen und Stühlen und einem spektakulären Sonnenuntergang.
Eine Bar mit kaltem Bier, ein TipTop Schwimmbecken mit 25m Bahnen und Bungalows sind auch vorhanden, stören aber das merkwürdig aus der Zeit gefallene kontemplative Daseinsgefühl nicht. Hier könnte man statt Tagen auch Wochen oder Monate mit dem Betrachten der untergehenden Sonne und mit jeweils einer neuen Flasche Primitivo zubringen.